150 Millionen Jahre Erdgeschichte und jahrhundertelanger Steinabbau in unserer Region.
Neuenkirchen und der Gehn 150 Millionen Jahre
Erdgeschichte und jahrhundertelanger Steinabbau in unserer Region.
Die Hülsenstiftung lädt Sie ein zu einem Rückblick auf 150 Millionen Jahre Erd-geschichte und auf den jahrhundertelangen Steinabbau in unserer Region.
Wie der Gehn entstand
Ein Rückblick in die Erdgeschichte
Die Entstehungsgeschichte des Wiehengebirges, des Gehns, einem letzten Ausläufer dieses Gebirges, und des Kalkrieser Berges reicht sehr weit zurück, und zwar in die erdgeschichtliche Epoche der Jurazeit, die 144 Millionen – 206 Millionen Jahre zurückliegt. Die Jurazeit wiederum wird in drei Unterepochen gegliedert: Lias („Unterer oder Schwarzer Jura“), Dogger („Mittlerer oder Brauner Jura“) und Malm („Oberer oder Weißer Jura“).
Vor etwa 150 Millionen Jahren – während des Malms – sah unsere Heimatregion völlig anders aus als heute, denn sie wurde damals von einem Meer bedeckt. Dieses stand in Verbindung mit dem süddeutschen, französischen und englischen Dogger-Meer. Das hiesige Meer aber war Veränderungen unterworfen, denn es zog sich im Verlaufe des
Malms zwischenzeitlich zurück, so dass es zu Veränderungen in der Verteilung von Land und Wasser kam. Die Sandsteine, die in vielen Steinbrüchen des Wiehengebirges, des Kalkrieser Berges und des Gehns zu finden sind, lassen darauf schließen, dass diese Schichtgesteine in größerer Landnähe entstanden. Besonders der Schichtenaufbau im Gehn mit seinen Pflanzenabdrücken in den Sandsteinen, dem Wiehengebirgsquarzit, den stark sandigen Tonsteinen und vereinzelten roten Tonsteinen lässt aufgrund seiner Vielfältigkeit die Nähe zum Festland erahnen. Die im Gehn vorhandenen Sandsteine verdanken ihre Entstehung einer Ablagerung in einem küstennahen Flussdelta.
Der Jurazeit folgte die Kreidezeit, die 65 Millionen – 144 Millionen Jahre zurückliegt. Während dieser Epoche entstanden durch Ablagerungen zunächst Sandsteine und später helle Kalksteine. Die im Gehn gemachten Funde von Kristallen, die man auch in den Alpen findet, sollen auf einen etwa 60 Kilometer langen und 50 – 60 Kilometer breiten Gesteinskörper zurückgehen, der sich von Quakenbrück bis nach Tecklenburg erstreckt und der als „Bramscher Pluton“ (= Tiefengestein) bekannt geworden ist. Er gibt Hinweise auf tiefgreifende Erdbewegungen während der Kreidezeit auch in unserem Raum. Das „Dach“ des Plutons befindet sich in ca. 5000 Meter Tiefe bei Bramsche. Entstanden sein dürfte er durch das Aufdringen von geschmolzenem Gestein, das vor mindestens 110 Millionen Jahren begann und vor ca. 90 Millionen Jahren durch Erstarrung endete. Nachgewiesen werden konnte die Lage dieses Gesteinskörpers bisher durch verschiedene geophysikalische Untersuchungen und Messungen. Beim Eindringen des geschmolzenen Gesteins fand eine Aufheizung der umgebenden und überlagernden Gesteine statt, die dann u. a. zu der bereits erwähnten Kristallbildung führte.
Am Ende der Kreidezeit – vor etwa 65 Millionen – 70 Millionen Jahren – gab es sehr starke Bewegungen der Erdkruste. Die vormals waagerecht gelagerten Gesteinsschichten zerbrachen und wurden schräggestellt.
Die harten Sandsteine aus der Jurazeit (Malm) hielten der Verwitterung am längsten stand und bilden deshalb heute den Kamm des Wiehengebirges und die Höhen des Gehns und des Kalkrieser Berges.
Die Nutzung des Gehns in Vergangenheit und Gegenwart
„In den Gehn, dor sitt de Stäine … för de Hüser in‘t ganze Land“
Die Gesteine des Gehns wurden für den Bau von Gebäuden, Fundamenten, Begrenzungsmauern, Straßen und sogar für die Herstellung von Pferdekrippen genutzt. Ein unübersehbares Bau- zeugnis ist die in den Jahren 1895 – 1897 erbaute
St. Laurentius-Kirche in
Neuenkirchen mit ihrem 65 Meter hohen Turm.
Dass es aber schon vor 1000 oder mehr Jahren Steinbrüche
im Gehn gab, zeigen die 2009 erfolgten Ausgrabungen auf
dem Schulgelände in Neuenkirchen. Denn die Archäologen legten die Fundamente zweier mittelalterlicher St. Laurentius-Kirchen frei und kamen zu dem Schluss, dass die älteste der beiden Kirchen „vermutlich schon im 10. Jahrhundert, spätestens im 11. Jahrhundert“ erbaut worden sei.
Im Mittelalter war der Gehn auch Namensgeber des Kirchspiels Neuenkirchen, denn in einer Urkunde aus dem Jahre 1278 erscheint es als „parrochia Nienkerken in Gen“. Der Gehn war in früheren Zeiten nicht nur Höhenzug, sondern auch ein großer Wald, der an das Kirchdorf heranreichte.
Die im Südwest-Gehn gewonnenen Steine wurden nicht nur in den Kirchspielen Neuenkirchen und Ueffeln für die Errichtung der Kirchen und anderer Bauwerke verwendet, sondern auch darüber hinaus. So fanden Gehnsteine unter anderem Verwendung bei der Errichtung der Kirchen in Merzen und Voltlage.
Die Steinbrüche gehörten ursprünglich zu den Marken-gründen des Gehns. Die Marken waren unkultivierte Ländereien, die von den dort Nutzungsberechtigten (Markgenossen) gemeinsam bewirtschaftet wurden.
Dass es bei der Lieferung von Steinen mitunter auch Probleme mit der Kundschaft gab, zeigt die folgende Begebenheit: Am 28. September 1683 beschwerten sich die in der Gehnmark berechtigten Einwohner des Kirchspiels Neuenkirchen darüber, dass das Zisterzienserinnen-Kloster Bersenbrück schon seit drei Jahren täglich Steine, und zwar inzwischen etliche „taußende Fuhren“, aus ihren Steinkuhlen nach Bersenbrück geholt habe, ohne den Neuenkirchenern
etwas dafür zu geben. Dabei sei es doch „von Uhralters her gewesen und annoch üblich“, dass derjenige, der mit Zustimmung der Markgenossen aus den Steinkuhlen Steine fahren lasse, jeweils für 100 Fuder eine Tonne (= 150 Liter) Bier oder 2 Taler zu geben habe.
„In den Gehn, dor sitt de Stäine … för de Strauten in de Gemäinden“
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Verwendung von Gehnsteinen beim Bau von Straßen zweitrangig. Dies änderte sich nach 1850, denn nun gewann der Straßenbau eine immer größere Bedeutung. Ein erster Steinbruch für diesen Zweck war 1779 angelegt worden. 1894 heißt es, dass die aus der Jurazeit stammenden Steine des Gehns „ein viel besseres Straßenmaterial als die rohen Granitblöcke“ lieferten. Noch heute liefert der Gehn – der nördlichste Steinbruch Deutschlands – auf einer Abbaufläche von 75 Hektar Material für den Straßenbau.
„Bahnhof Neuenkirchen“ oder „Bahnhof Lintern“?
Im 19. Jahrhundert entstand der Plan, eine Bahnverbindung
Bramsche-Fürstenau zu schaffen, die auch über Lintern und Ueffeln führen sollte. Diese Verbindung sollte einen leichteren und billigeren Abtransport der im Gehn abgebauten Steine ermöglichen. Der Plan fand die Unterstützung des Pfarrers Vornholt, der dabei als Betreiber eines Steinbruches wohl nicht ganz uneigennützig gedacht haben mag. Das Projekt scheiterte aber aufgrund neuer Überlegungen von Seiten der zuständigen Stellen. Das bedeutete, dass die Steine weiterhin mit Fuhrwerken direkt zu den Baustellen oder für den weiteren Transport zum Reichsbahnhof Hesepe gebracht werden mussten. Da aber die Verfrachtung zum Bahnhof sehr teuer war, wurde der Bau einer Feldbahn zunächst vom Steinbruch Kettelsberg nach Hesepe notwendig. Aufgrund der 1926 gefassten Kreistagsbeschlüsse wurde eine fünf Kilometer lange Feldbahn eingerichtet, die den mühseligen Steintransport mit Pferdefuhrwerken auf schlechten Straßen zum Bahnhof ersparte.
Harte Steine – harte Arbeit
Über die Arbeitsbedingungen, die Entlohnung und die Gefahren für Gesundheit und Leben, denen die Steinbrucharbeiter ausgeliefert waren, geben die
Aufzeichnungen des Neuenkirchener Schusters Hermann Sunderdiek († 1945) Aufschluss. Aus ihnen geht zudem hervor, dass sogar der seit 1888 in Neuenkirchen tätige Pastor Vornholt einen Steinbruch betrieb. Einen Pfarrer bringt man nicht unbedingt mit dem Steinabbau in Verbindung. Sunderdiek berichtet: „Am 1. April 1892 wurde bei Pastors Steinkuhle der Steinbruch ‚Hoffnung‘ in Betrieb genommen. Zuerst arbeiteten 20 Mann, daß der Bruch betriebsfähig wurde. Pastor Vornholt hatte die Steinkuhle auf Pastorengrund. Er hatte zwei Vorarbeiter, August Bücker und Hermann Vogelsang aus Vinte, die jeden Tag in Holzschuhen zum Steinberg gingen. Die Arbeiter verdienten 1892 bis 1900 bei Zehnstundenarbeit 2,00 bis 2,50 Mk. In den Jahren 1884 bis 1892 verdienten die Arbeiter bei Hagedorn, Lintern, und in der großen Steinkuhle 1,00 bis 1,20 Mk., später 1,50 Mk. bei zehnstündiger Arbeit. Im Verlaufe von hundert Jahren ist schon mancher in den Brüchen zu Tode gekommen, besonders waren es Fuhrleute. Die Wege waren sehr schlecht mit metertiefen Löchern. Es waren in Ueffeln nur drei Bauern, die nicht Steine fuhren, man mußte eben davon leben. Die Steine wurden mit Pferdegespannen in den ganzen Kreis [Bersenbrück] und das südliche Oldenburg geschafft.“
In früheren Zeiten waren das Herausbrechen und die
Verarbeitung des Rohmaterials sehr kräftezehrend, denn jeder Stein musste mit der Hand behauen werden. Die Präzision, mit der die Arbeiter die Steine dennoch bearbeiteten, nötigt noch heute Respekt ab. Trotz der harten Arbeit waren die Steinbrüche wichtige Arbeitgeber für die Menschen in den ländlich geprägten Kirchspielen Neuenkirchen, Ueffeln und Merzen. In „normalen Zeiten“, so heißt es 1933, hätten „etwa 120 Arbeiter durch die Kreissteinbrüche ihr Brot“.
Schwierig war nicht nur die Arbeit in den Steinbrüchen, sondern auch der Bau der Kirchen mit den hohen Türmen, denn die schweren Steine mussten in immer größere Höhen transportiert und auf Gerüsten verarbeitet werden, die mit den heutigen nicht vergleichbar sind. Da war es schon beachtlich, wenn es nicht zu Unfällen kam.
Naherholungsgebiet Gehn
Der Gehn ist aber nicht nur Abbaugebiet, sondern auch Naher- holungsgebiet, das zum Wandern einlädt, denn der Hünenweg und der Bersenbrücker-Land-Weg führen durch den Gehn.
633 Hektar des 2000 Hektar großen Gehns gehören zu den NATURA-2000 Gebieten, das sind „europäische Premiumschutzgebiete“. Diese bestehen aus EU-Vogel- schutzgebieten und Fauna-Flora-Habitat (FHH)-Gebieten. Dort werden Tiere und Pflanzen besonders geschützt. Zum FHH-Gebiet „Gehn“ gehört auch das Naturdenkmal „Heide am Gehn“, das auch Teil des UNESCO Natur- und Geoparks „TERRA.vita“ ist. Der Naturpark kann auf ausgewiesenen Wegen erwandert werden.